MYONET - Atlas Musculatur Orofacial System

Atlas Musculatur: Physiologie,I

Erhard Thiele     11 Atlas Musculatur Gliederung       MYONET.Gesamtprogramm inhaltsübersicht     

 

Aus dieser embryonalen oberflächlichen Muskelhülle differenzieren sich später die Muskelzüge in ihrer Vielfalt (Abbildung 20, nächste Seite). Am deutlichsten erkennt man kaudal die grosse Fläche des Platysma als Hülle, hauptsächlich vom Unterkieferrand abwärts. Die Hülle oberhalb des Unterkieferrandes bis in Jochbeinhöhe bildet eine Art Gürtel, zusammengesetzt vom Ohr her aus: Buccinator – Risorius – Orbicularis – Risorius – Buccinator. (Hierzu die Schemazeichnung Abb. 18, nächste Seite). Diesem Gürtelteil der Hülle kommt für das Kräftegleichgewicht gegen das Innen große Bedeutung zu. Er wird vertikal in seiner Mittellage gehalten durch Seitenverstrebungen wie die Levator und Depressor labii. Dieser Aufbau gibt unserer Gummihülle die nach innen gerichtete, zentripetale Kraft.

Diesen bei Muskelaktionen entstehenden Druck- oder Kraftresultanten müssen wir im Hinblick auf ihr bei Ungleichgewicht und Dysfunktionen verformerisches Potential erhebliche Aufmerksamkeit zukommen lassen. Darum werden im Text häufig Stichworte hierzu gegeben, die aus orthodontischer Sicht relevant sind. Diese Resultanten (verformenden Kraftrichtungen) stimmen nicht oder selten mit der eigentlichen Zugrichtung des Einzelmuskels überein, sondern sie weisen einen Winkel zu dieser auf. So kann die Muskelzugrichtung nasenwärts verlaufen, während der resultierende Vektor senkrecht dazu, zentripetal, auf die knöcherne Unterlage weist.

 Diese Grundkraftrichtung vektoriell zu variieren ist das orofaciale System nun in erstaunlicher Vielfalt in der Lage. Der systematisch abbildende Teil des Kapitels versucht, diese zu vektorieller Richtungsänderung der Kräfte führenden Zugrichtungen analog für jedes Muskelfeld darzustellen. Zu ihrer Erstellung wurden diese Abbildungen auf Klarfolie gezeichnet. Stellen wir uns die hier wiedergegebenen Zeichnungen der Einzelmuskeln auf Folie gezeichnet und übereinandergelegt vor, so können wir die Komplexität der Variationsmöglichkeiten erahnen. Es drängt sich das Bild einer Radspeichenstruktur auf (Abb. 17). Im Zentrum die Nabe, der Muskelring des Orbicularis, zwei Ringbögen, oben und unten, im Mundwinkel jeweils sehnig verbunden. Als Radspeichen sehen wir die elastischen Züge der radiär ausstrahlend, an ihren Enden meist knöchern verankerten Muskelzüge.

 

Abb. 17: Radspeichenvergleich (Zur Nomenklatur siehe auch Abb. 2. zur Übersicht, orofaciales Gebiet, Seite 3 )

                                      

Abb. 18: Muskel-”Gürtel”:

Buccininator – Risorius – Orbicularis – Risorius – Buccinator

Gray’s Anatomy sagt dazu:

”Revelation of emotional state, intentions, and so forth by facial expression serves obvious social functions; but the facial musculature is even more frequently and usefully concerned in speech. There can be no doubt which is the more important form of communication. The niceties of speech immeasurably outstrip the repertoire of even the most expressive face. Nine muscles converge upon the mouth from each side to control the intricate labial movements of speech; occasionally they may curl the lips in irony or a sardonic grin. It is also important not to overlook the contribution of the facial musculature in feeding and drinking, in all their phases. Unfortunately, the individual activity of facial muscles has been little studied by experimental techniques and their participation in different movements is largely a matter of simple observation. Their role in mastication has been the subject of electromyographic study” [58, S. 533].

"Das Offenbaren von emotionalen Zuständen, Absichten und ähnlichem  dient augenfällig sozialen Funktionen; aber die Facialmuskulatur ist noch häufiger und nützlicher beteiligt an der Sprache. Es kann gar kein Zweifel darüber bestehen, welches die wichtigere Form der Kommunikation ist. Die Feinheiten der Sprache übersteigen bei weitem die Fähigkeiten eines noch so ausdrucksvollen Gesichts. Neun Muskeln konvergieren von beiden Seiten über dem Mund und beherrschen die komplizierten Lippenbewegungen beim Sprechen; manchmal können sie auch die Lippen in einem ironischen oder höhnischen Lächeln verziehen. Es ist auch wichtig, die Beteiligung der Facialmuskulatur beim Essen und Trinken  in allen seinen Phasen nicht zu übersehen.  Leider sind bisher die individuellen Aktivitäten der Facialmuskeln wenig durch experimentelle Techniken untersucht worden, wie auch ihre Beteiligung an den unterschiedlichen Bewegungen grossenteils eine Angelegenheit der einfacher Beobachtungen geblieben ist. Ihre Rolle bei der Mastikation war Thema elektromyographischer Untersuchungen."